Acht Lesungen

  mit Adelbert-von-Chamisso-Preisträgerinnen und -Preisträgern der Robert Bosch Stiftung



Fremd sein...
 

Francesco Micieli
Einführung
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Ortsbücherei Aspach, Freitag, 21. 10. 05

 
Marica Bodrozic
Yoko Tawada
Adel Karasholi
Zehra Çirak
Selim Özdogan
Vladimir Vertlib
Catalin D. Florescu
Francesco Micieli



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Der lachende Zahn der Großmutter in Kalabrien

Aspach: Die Thematik der Emigration ist sein wichtigstes Thema, die Auseinandersetzung mit Sprache zentral in seinem literarischen Werk. In der Reihe "Fremd sein“, die von Professor Pröpstls Puppentheater und dem Kunstverein Aspach veranstaltet wurde, las der Adelbert-vonChamisso-Förderpreisträger Francesco Micieli als letzter Autor der Reihe in der Ortsbücherei Großaspach.

Francesco Micieli ist mit verschiedenen Sprachen aufgewachsen. Als Nachkomme albanischer Vorfahren in Italien geboren, lernte er zuerst die albanische Muttersprache. In der Schule war diese Sprache verboten. Micieli lernte Italienisch. Als Zehnjähriger emigrierte er mit seinen Eltern in die Schweiz.

"Ich schreibe nicht Muttersprache, nicht Staatssprache. Ich schreibe Fremdsprache. Ich schreibe Deutsch", heißt es in einem seiner Bücher. Die Thematik der Emigration hat der Autor zu einer Trilogie verarbeitet, die er bei der Lesung in der voll besetzten Ortsbücherei Aspach vorstellte.

In dem Roman "Ich weiß nur, dass mein Vater große Hände hat" erzählt Micieli die Geschichte der Auswanderung in die Schweiz aus der Sicht eines Kindes. Der Junge lebt bei seiner Mutter in einem Dorf in Kalabrien. Seinen Vater, der in einer Fabrik "hinter den großen Bergen" arbeitet, kennt er kaum. Er weiß nur, dass er große Hände hat. Francesco Micieli liest kurze Passagen über die Familiengeschichte des Kindes. Die kleine Schwester des Jungen stirbt, weil kein Arzt geholt wird, als sie krank ist. "Weil Mädchen nichts nützen." Der Onkel hat im Krieg einen Arm verloren und einen Orden bekommen. "Mit diesem Orden kann ich dich nicht umarmen." Die Großmutter hat nur noch einen einzigen Zahn. "Der Zahn der Großmutter lacht." Bemerkenswert einfach und knapp ist die Sprache, die der Autor verwendet, schmucklose Hauptsätze und nur wenig Nebensätze. Aber gerade diese komprimierte Kürze macht den besonderen Reiz seiner Texte aus. Es ist ein ungewöhnlicher und einzigartiger Stil, mit dem der Autor das Publikum in der Ortsbücherei in seinen Bann zieht.

Im zweiten Teil der Trilogie "Das Lachen der Schafe" erzählt Micieli die Geschichte der Emigration aus der Sicht einer Frau. Eine berührende, poetische Melancholie zieht sich durch die kurzen Bilder. In der Schweiz angekommen, erzählt Toni, der Mann der Ich-Erzählerin, dass Schafe lachen können. "Früher habe ich mehr gelacht, als Tonis Schafe", erinnert sich die Emigrantin. Als das Buch "Das Lachen der Schafe" in der Schweiz erschienen ist, erzählt der Autor schmunzelnd nebenbei, lief in den Kinos gerade der Film "Das Schweigen der Lämmer."

Im dritten Buch "Meine italienische Reise" schließt sich der Kreis der Trilogie. Es ist der Rückblick eines Erwachsenen, der mit seinem alten Vater zurück nach Italien fährt. Grund für die Reise ist der Tod der Mutter, die in der Heimat begraben werden wollte. Micieli drückt die Sprachlosigkeit aus, die zwischen Vater und Sohn besteht. Der Sohn möchte sich aussprechen. "Aber seit ihrer ersten Begegnung hatten sie nicht einmal die häufigsten Wörter der Sprache gebraucht."

Francesco Micieli liest die kurzen, schlichten und doch eindrucksvollen Sätze seiner Bücher mit monotoner Stimme. Die Texte haben einen eigenen Rhythmus. "Sie klingen beinah wie Lieder", formuliert es eine Hörerin nach der Lesung.

Wie der Autor zum Schreiben gekommen ist, interessiert die Besucher in der Ortsbücherei noch. Eigentlich durch Zufall, erzählt der Chamisso-Preisträger. Während seiner Studienzeit in Bern kam ihm eines Tages in einem Café der lachende Zahn der Großmutter in den Sinn . .

Backnanger Kreiszeitung vom 25.10.2005