Acht Lesungen

  mit Adelbert-von-Chamisso-Preisträgerinnen und -Preisträgern der Robert Bosch Stiftung



Fremd sein...
 

Vladimir Vertlib
Einführung
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Professor Pröpstls Puppentheater, Freitag, 10. 06. 05

 
Marica Bodrozic
Yoko Tawada
Adel Karasholi
Zehra Çirak
Selim Özdogan
Vladimir Vertlib
Catalin D. Florescu
Francesco Micieli



Vorwort
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"Mein persönlicher Hintergrund hat meinen Weg zum Exil als
literarischem Thema bestimmt, er war jedoch keine Grundvor-
aussetzung dafür, über ein solches Thema zu schreiben. Natür-
lich muss man nicht unbedingt Jude und Emigrant aus Russland
sein, um glaubhaft und differenziert über jüdische Emigranten
aus Russland und deren Lebenswelten zu berichten. Genauso
wenig ist es schon ausreichend, Jude und Emigrant zu sein, um
Bücher über Judentum und Emigration zu verfassen. Leider sind
solch banale Tatsachen alles andere als allgemein bekannt. In
Gesprächen, bei Interviews und auf Lesereisen höhre ich oft,
nur ein Jude könne solche Texte schreiben wie ich...Kompli-
mente dieser Art ärgern mich. Freude bereitet mir hingegen,
dass viele Menschen meine Bücher ironisch und sogar witzig
finden. Die humorvolle Seite von tragischen Ereignissen sehen
zu können, ist vielleicht die beste Möglichkeit, sich diesen Er-
eignissen zu stellen, sie einzuordnen und sie als Teil der Welt
zu akzeptieren...
In der Literatur gibt es, meiner Ansicht nach, keine wichtigen
oder weniger wichtigen Themen. Es gibt nur gute und oder
schlechte Texte, und auch das ist eigentlich nur eine Phrase,
denn das Faszinierende an Literatur (ja an Kunst überhaupt)
erscheint mir die Tatsache, dass man über sie alles sagen kann
und das Gegenteil davon behaupten, dass beides stimmen wird
und Postulate nur für jene gelten, die sie aufstellen und die
ihnen glauben wollen. In diesem Zusammenhang muss ich zu-
geben, dass es mich immer amüsiert, wenn man in Artikeln
mein Schreiben mit dem Hinweis zu definieren versucht, ich sei
Jude oder österreichischer Jude oder ein in Österreich lebender
Russe oder ein russischer Jude, ein deutscher Russe, deutscher
Jude oder sogar Israeli. Manchmal werde ich gefragt, ob ich
vielleicht doch nur ein russischer Autor sei, der zufälligerweise
deutsch schreibt. Dass ich Österreicher bin, steht in meinem
Staatsbürgerschaftsnachweis, während man über die anderen
Zuordnungen streiten kann. Jedenfalls warte ich mit Neugier
darauf, was man sagen wird, wenn ich einmal Bücher geschrie-
ben haben werde, in denen keine Juden, keine Emigranten,
keine Russen und vielleicht nicht einmal Österreicher vorkom-
men. Vielleicht wird man micherst dann als das akzeptieren,
was ich in erster Linie bin: jemand, der die Gabe besitzt,
manchmal gute Geschichten zu erzählen."

Ausschnitt aus Vladimir Vertlibs Dankesrede zur Verleihung des
Anton-Wildgans-Literaturpreises in Wien, am 20. Juni 2002